DAS MOTIV

 

Als ich mir am 1. Januar 2019 vorgenommen hatte, jeden Tag ein Foto von „meiner“ Kirche zu machen, hätte ich nicht gedacht, was das in mir auslösen würde. Zumal ich mir nicht sicher war, wie lange ich das überhaupt durchhalten würde. 

Aber weil ich mich kenne, habe ich mich an einen Satz meines ehemaligen Englischlehrers erinnert: „Der Junge braucht Druck“ – und mir selber welchen gemacht. Ich habe großspurig öffentlich auf facebook verkündet, jeden Tag ein neues Foto von „meiner“ Kirche zu posten. 365 Tage lang. Und so bin ich mit einem Foto vom Glockenturm gestartet, der sich in einer Pfütze auf der Straße spiegelt.

Am Ende sind es genau 365 Bilder geworden. Ganz normale Ansichten der Kirche von außen und innen, aber auch echte Besonderheiten wie den Blutmond. Während einer Nacht im Januar konnte ich bei Eiseskälte auf dem Friedhof sogar Polarlichter über Schwabstedt fotografieren. Eines meiner Lieblingsbilder ist das Schneegestöber, das in der Kirchenbeleuchtung wie Feuerwerk aussieht. 

Am Ende habe ich es auch nicht mehr als Druck empfunden, sondern als echtes Geschenk, jeden Tag einmal für eine halbe Stunde um die Kirche zu gehen und nach einem Motiv zu suchen. Nicht weil ich muss, sondern weil ich darf. 

Dabei habe ich einiges für mich gelernt: Obwohl ich insgesamt 20 Jahre in Schwabstedt gewesen bin und gefühlt viele Tausendmal hingeguckt habe, habe ich jeden Tag eine neue Kleinigkeit (und manchmal sogar eine „Großigkeit“ wie die Polarlichter) entdeckt, die mir vorher noch nicht aufgefallen war. Einfach, weil ich es mir vorgenommen hatte. 

Inzwischen bin ich nach St. Peter-Ording weitergezogen. Ein neuer Ort mit sogar drei Kirchen und einem wunderschönen Strand mit wunderschönen neuen Motiven, die ich jeden Tag (neu) entdecke.